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Frankfurt is not Africa— and certainly it isn't California either. Today it's raining nonstop but I hurry to meet a journalist from the "Frankfurter Rundschau", a major local newspaper. I have considerable expectations. Both a journalist and a scriptwriter give coherence to reality. So, understandably, I have many questions I'd like to ask him. Originally though the meeting was arranged by the Schirn Kunsthalle in order for him to question me; and get some publicity for our final show – May 6, 8 PM at the Schirn Kunsthalle (in case you'd like to be there).
When the man arrives he does indeed have a whole lot of questions for me that, frankly, I can't possibly answer. "What do you do when you aren't commissioned by the Schirn Kunsthalle to write a theater play about Frankfurt?" – "Where do you live when you are not staying at the hotel Neue Kräme?" Sure, these questions might be easy to answer if I were a real Frankfurter. Yet, for me they hover somewhere between meaninglessness and implausibility. For, you know, I am a character, a fiction, a projection of Martin Kippenberger; and like all projections I am more related to the projector (Kippenberger) than to the projected (William Holden). "What did I mean for Kippenberger?" – As if by repeating the journalist's question I would discover some sense in it. Honestly, I don't know. Kippenberger isn't there anymore; and therefore I don't mean anything anymore either. In the best case I am some sort of ghost gone independent.
"You dress like the people in Chicago used to in the 30s"… What? Well, in that case I sort of am the Holden of "The Golden Boy" (1939). But let me tell you: your sense of fashion is rather wrong…
MADONNA OHNE PHOTOSHOP SIEHT AUCH NICHT ANDERS AUS!
Das hier ist ganz sicher nicht Afrika – und auch nicht Kalifornien. Im strömenden Regen verlasse ich mein Hotel um zu meinem ersten Termin zu gehen. Ich soll einen Journalisten von der Frankfurter Rundschau treffen. Treffpunkt „La Perla“. Ich bin zu früh, viel zu früh; also nehme ich mir die Schlagzeilen der Tagesszeitungen vor. Sie machen heute wenig Mut und sind nicht dazu geeignet die Trübsal dieses verregneten Morgens aufzuhellen. Zusammengefasst lauten sie: „FC Bayern entlässt Klinsmann“, „ Ackermann bleibt Chef der Deutschen Bank“, „Grippe killt Krise“ und „GM bettelt um Verstaatlichung“. Angesichts dieser Aussichten scheint es nur folgerichtig zu sein sich heute ausschließlich um Lokales zu kümmern. Also lasse ich mich mit dem Kellner des „La Perla“ auf eine Konversation darüber ein, ob ich verheiratet sei. Ich bin nicht verheiratet und auf die Frage warum er mich das fragt, weiß er zunächst keine Antwort. Es ist wohl so seine Art des Humors der sich da Bahn gebrochen hat. Nun gut, man kann das komisch finden… Als er erfährt, dass ich Schriftsteller bin und ein Theaterstück schreibe setzt er noch Einen nach, deutet auf seine Kollegin (ich glaube es ist jene, die gestern eher für Italien als für die Türkei war) und preist sie als die geborene Schauspielerin an. Sein Ausdruck ändert sich minimal aber abrupt, als ich auf sein Angebot eingehe und ich ihr tatsächlich anbiete am 6. Mai aufzutreten. Die freundliche Überlegenheit in seinem Gesicht weicht einer kaum merklichen Verwunderung. Es ist nichts Besonderes, eher ein Interview, als ein Auftritt, erkläre ich ihr und dass ich auf der Suche nach Menschen aus Frankfurt bin um sie dem Publikum vorzustellen. Da ist sie wieder die Antwort, die ich in der kurzen Zeit hier und in meinen gescheiterten Versuchen an die Menschen heranzutreten, beinahe regelmäßig gehört habe: „Ich bin aber nicht aus Frankfurt.“ – „Aber sie Leben doch hier,“ erwidere ich dann in der Regel und regelmäßig wird die Frage auch bejaht. „Und Sie arbeiten auch hier,“ frage ich diesmal weiter. Auch das bestätigt mir die Kellnerin – erwartungsgemäß da sie ja ganz offensichtlich jetzt und hier arbeitet. „Also sind Sie doch Frankfurterin!“ – Ja, aber sie sei nicht hier geboren. „Ja, aber…!!!“ – Dieses „Ja, aber“ kommt mir immer mehr, wie das Grundmotiv dieser Stadt vor. Beinahe alle meine Erfahrungen hier kommen regelmäßig auf dieses „Ja, aber“ zurück. Zur Erinnerung. Gestern: „Es ist doch die Stadt der Banken und des Geldes hier?“ – „Ja, aber die Türme stehen leer.“ Oder ich zur Pförtnerin: „In dem Haus, das Sie bewachen ist also überhaupt nichts mehr“ – „Ja, aber Fotografieren ist verboten.“ Zu diesen Beispielen von gestern gesellen sich im Laufe des Tages noch weitere. Da ist zum Beispiel der kleine Laden am Ende der Zeil, schon kurz vor dem Zoo. Eher ein Kiosk als ein Laden, mit dem Schriftzug „Kunstgalerie“ über dem Schaufenster. Und tatsächlich sind die Bierflaschen und Chips-Tüten in der Auslage so drapiert, dass sie einen (zwar sehr entfernt aber eben doch!) an den frühen Jeff Koons erinnern können. Um sicher zu gehen frage ich also nach, welche Künstler sie in dieser Galerie vertreten. Die junge Frau versteht mich nicht gleich. Ob sie hier Ausstellungen machen, frage ich nach. „Nein.“ – „Ich frage ja nur, weil draußen Kunstgalerie steht,“ entschuldige ich mich. „Sie sind doch eine Galerie?“ – „Ja, aber wir haben hier keine Ausstellungen….“
Fast kommt es mir so vor, als sei dieses endlose „Ja, aber“ das Resultat von tief ins Unbewusste vorgedrungenen Think-Positive-Parolen der Marketing-Motivations-Trainer. Es scheint den Leuten hier – seien sie nun „echte“ Frankfurter, oder „Ja, aber Frankfurter“ – schon unmöglich geworden zu sein, etwas zu verneinen. Sind diese bizarren Gestalten Hirngespinste Freuds? Halluziniert er sie? Handelt es sich um Produkte seiner Fantasie oder eines Alptraums? „Das alles muss in meinem Kopf sein,“ vermutet Freud. „Und das ist oft sehr komisch,“ schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor drei Tagen über eine Aufführung in einem kleinem Frankfurter Theater, das sich ausgerechnet auf dem Gelände des hiesigen Zoos, also in unmittelbarer Nachbarschaft des Galerie-Kiosks, befindet. Und die Theatermacher haben dieses Zitat stolz in ihren Schaukasten gehängt. Dass dieser Text in unmittelbarer Nähe zum Jeff-Koons-Kiosk hängt,ist Zufall. Aber wie bereits bei der gestrigen Beschreibung der beiden Thüringer Bauarbeiter finde ich im Stillen, dass auch diese Formulierung vortrefflich auf diesen Ort passt.
Aber bevor mir heute all das begegnet, habe ich noch den Termin mit dem Journalisten. Offen gesagt, ich hatte recht große Erwartungen an dieses Begegnung, da es sich um den Leiter der Lokalredaktion handeln sollte. Und wer könnte nun eine bessere Informationsquelle für meine Arbeit sein, als er. Doch er sperrt sich, will naturgemäß seine Fragen stellen. Es sind solche Fragen, von denen ich bereits gestern gemerkt habe, dass sie mich zu nichts führen. Zum Beispiel: „Was machen Sie, wenn Sie kein Stück über Frankfurt schreiben?“ Oder auch: „Wo wohnen Sie, wenn Sie nicht im Hotel Neue Kräme absteigen?“ Für einen regulären oder auch einen „Ja, aber“-Bewohner Frankfurts mögen es leicht zu beantwortenden Fragen sein. Für mich hingegen bewegen sich solche Gedankenübungen zwischen Unsinnigkeit und Unmöglichkeit. Denn schließlich bin ich ja Fiktion, eine Projektion Kippenbergers über sich selbst. „Was ich denn für Kippenberger bedeute?“ will er daraufhin von mir wissen. Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht; denn schließlich hat er mich projiziert und nicht ich mich und zweitens ist Kippenberger tot und in diesem Sinne bedeute ich also gar nichts mehr; oder bin bestenfalls so eine Art sich verselbstständigende Vergangenheit. Also, entweder „zu Darwin in die Schirn“ oder auf die Straßen Frankfurts! Auf seinen Vorschlag hin entscheiden wir uns für die Kleinmarkthalle, eine Markthalle für gehobene Ansprüche, die sich in einer unscheinbaren Betonkonstruktion zwischen der Fußgängerzone und der Berliner Straße versteckt. Dieser Tipp war Gold Wert. Denn hier gelingt es mir zum ersten Mal das Eis zwischen mir und der Stadt zu brechen. Nicht mir alleine gelingt es, sondern unter Mitwirkung des Fotografen, der uns seit dem Gespräch im „La Perla“ begleitet. Während ich und Herr Dr. Arning – so der Name des Ressortleiters – uns über dies und das unterhalten und Rezepte austauschen, schwirrt der Fotograf Herr Arnold um uns herum und bedeckt uns mit einem kleinen aber ansehnlichen Blitzlichtgewitter. Dies wiederum verleitet die Verkäuferin des Bio-Bäckerei-Standes Frau Silly C. (gesprochen mit weichem „s“ und etwas längerem „i“ als das englische Wort) und ihre Nachbarin dazu herauszufinden, um wen es sich bei mir handelt. Nach kurzer Beratung einigen sie sich auf Roger Cicero. Doch diesmal wiederspreche ich, überreiche ihr eine Visitenkarte und erzähle von mir und meiner Mission. Frau C. ist ein Bühnen-Naturtalent, das ist mir nach wenigen Minuten klar und das hätten ihr heute schon die Leute vom Fernsehen gesagt, die vorbeigekommen sind. Und sie hätten ihr auch schon angeboten aufzutreten, was dann aber doch nicht zu Stande gekommen ist. Macht nichts, denn – fügt sie an – sie sehe ohnehin viel zu alt aus für so was. Aber ich will sie unbedingt für meine Sache gewinnen. Also versuche ich ihre Bedenken mit dem Satz zu zerstreuen: „Madonna ohne Photoshop sieht auch nicht anders aus!“ Und unter den vielen mehr oder weniger wichtigen Sätzen die ich heute von mir gegeben habe, ist es natürlich genau jener schmierige Spruch, der sofort in den Notizblock von Herrn Dr. Arning wandert. Und da es wahrscheinlich ohnehin so kommt, komme ich der Peinlichkeit zuvor und schreibe genau jenen Satz selbst in Großbuchstaben: MADONNA OHNE PHOTOSHOP SIEHT AUCH NICHT ANDERS AUS! Ja, aber…
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