Bitte erheben Sie sich für die Nationalhymne.
Polnische Nationalhymne
Danke, das war die polnische Nationalhymne mit dem schönen und bedeutungsvollen Titel: Still Alive!
Blickt ins Publikum, das offensichtlich verwirrt ist.
Nun gut, ich dache es wäre ein guter Anfang für heute Abend, nicht war Mr. Bond?
Mein Name ist William Holden, ich bin Schriftsteller. Nicht berühmt, aber offenbar berühmt genug um den Auftag zu erhalten, hier in Frankfurt ein Theaterstück zu schreiben, das am 6. Mai um 8 Uhr in der Schirn Kunsthalle präsentiert wird – nur für den Fall, dass Sie kommen möchten.
Schreiben – insbesondere das Schreiben von Drehbühchern ist wichtig. Das Publikum weiß nicht, dass sich zunächst jemand hinsetzt und einen Film schreibt. Sie denken noch immer, die Schauspieler improvisieren vor der Kamera.
Das Publikum weiß nicht, dass jemand den Film schreiben muss. Sie denken, er entsteht spontan beim Drehen.
Aber, kein Film, nicht einmal eine Dokumentation ist ohne Inszenierung.
Die Leute wissen nicht, dass man eine Dokumentation schreiben muss. Sie denken, sie entstünde einfach so beim Drehen, bzw. Aufnehmen. Dass gute Dokumentationen selten sind, liegt nicht daran, dass nicht genug spannende Geschichten geschehen, sondern dass es wenig gute Autoren gibt.
Dokumentation: Hier auf der Video-Wand zu meiner Rechten können sie alle Arbeiten sehen, die in dieser Ausstellung gezeigt wurden. Aber die Tatsache, dass eine Dokumentation gut ist, bedeutet nicht, dass es sich auch um einen besonderen, intensiven Moment gehandelt hat. Es bedeutet nur, dass er gut geschrieben und präzise vor der Kamera aufgeführt wurde. Und dafür braucht es Schriftsteller.
Auf einem meiner Gänge durch die Stadt begegnete ich zum Beispiel einer Demonstration von Vegetariern. Sie waren laut und geübt im Brüllen von Parolen - by the way – viel besser als die Arbeiter am 1. Mai, dem Tag zuvor.
Unter den vielen Sprüchen gefiel mir besonders: „Für die Tiere sind wir hier – eure Gewalt verachten wir.“ Und: „There’s no excuse for animal abuse“. Jedoch war ich mit meinem Audio-Recorder zu langsam, um es aufzunehmen. Also reihte ich mich kurzerhand in die Demonstranten ein und begann selbst den Slogan zu rufen. Die Menge stimmte sofort ein und ich hatte meine Aufnahme.
Wenn Sie eine Dokumentation wie diese sehen oder wenn Sie einen Bericht in der Zeitung lesen, glauben Sie da im Ernst, sie sehen bzw. lesen, wie es wirklich war? Oder glauben Sie im Ernst der Mann in meinem Video arbeitet wirklich in dem Gravur-Laden? In meiner Dokumentation sind alle Schauspieler. Alles ist inszeniert. Der jüngere Herr hat gerade seine Ausbilung an der Frankfurter Schauspielschule beendet und stand uns daher kostenlos zur Verfügung. Sie haben vielleicht davon gehört, dass es nichts Wichtigeres für junge Schauspieler gibt, als präsent zu sein. Den älteren Herrn, der seinen Vater spielt, kennen Sie sicherlich aus der ein oder anderen Fernsehproduktion. Er arbeitet seit Langem mit dem Hessischen Rundfunk zusammen. Wichtig für die Inszenierung einer Dokumentation ist natürlich immer, einen nachprüfbaren Verweis auf die Wirklichkeit zu präsentieren.
Nicht wahr Mr. Bond?
An dieser Stelle möchten wir uns bei den Inhabern des Gravur-Ladens in der Hauptwache bedanken, die so freundlich waren, uns ihr Geschäft für 2 Stunden zu überlassen.
Aber zurück zur Nationalhymne. Das politische Bewusstsein hier in Frankfurt hat mich schon sehr berührt. Vielleicht auch deshalb, weil ich den 1. Mai miterleben durfte. Was mich bedonders beindruckt, ist die Vielfalt der politischen Überzeugungen, die hier geäußert werden.
Protestbewegungen aus den 80ern, 90ern und von nach 2000 erscheinen hier übergangslos nebeneinander. Buddhismus, Vegetarismus… Hier gilt einfach: Protest ist Protest. Und um diesem Ausdruck zu verleihen, ist Frank Zappa genauso tauglich wie jeder andere: Frank Zappa, Che Guevara, Dalai Lama, Gandhi… Aber „Wenn alles gut ist,“ so Kippenberger „dann ist Nichts mehr gut“.
Einige Demonstranten waren zweifellos besser als andere. Ich spreche vor allem über die ergreifende Darststellung der Demontranten aus Sri Lanka.
[Video Projektion: see video attachment]
Weiß hier jemand, was dort in Sri Lanka vor sich geht?
[Gespräch mit dem Publikum über Sri Lanka]
Avec un manifestant je commence un dialogue en français, pars qu'il ne parle pas allemand. Je me presente comme Monsignore Oldoon. Il est ici pour visiter son ami. Il pose le question, si je mange de la viande. Mais je résponde que je ne suis pas vegan est non plus un végétarien. Malheureusement il va retourner a France le dimanche. Und ich verpasse die Gelegenheit eines Intermezzo-Français am Mittwoch. C’est la première foi pour lui de faire une manifestation de son opinion en public. Mais il l’aime. Bonne journée il dit, et bonne manifestation je réponde.
An dieser Stelle würde ich gern meinen adeligen Freund vorstellen. Mattheo, sprichst du Französisch? Gibt es hier irgendjemanden, der Französisch spricht? Herr Bond, sprechen sie Französisch?
Würden Sie mir bitte helfen, dieses seltene Film-Dokument einer geschriebenen Dokumentation zu übersetzen?
[--- Kipperberger – Französisch ---mit Simultanübersetzung]
Aber zurück zu Mattheo. Er arbeitet heute als Headhunter und ist hierhergekommen, um das Buch „Stilvoll verarmen“ vorzustellen.
[Nachdem er angefangen hat:] Mattheo, du hast zwei Minuten.
[Präsentation von "Stilvoll verarmen“"]
Die Leute hier in Frankfurt träumen pausenlos davon, woanders zu sein, eine andere Sprache zu sprechen. Sie beginnen sich, entfernte Orte und exotische Menschen vorzustellen… Afrika zum Beispiel. Oder Australien. Wie der Wombat, den Ardorno für den Frankfurter Zoo wollte.
Oder auch Dubai. Kürzlich in einer meiner Kaffee-Pausen im „La Perla“ – kann ich übrigens sehr empfehlen: guter Kaffee, kostenloses Internet! – Sie müssen allerdings einen eigenen Laptop mitbringen – sehr freundliche Bedienungen….
Eine von ihnen ist sehr von Dubai fasziniert, geradezu verliebt, könnte man sagen. Von ihr stammt der bedeutungvolle Satz: „Dubai, das ist keine Stadt, das ist ein Traum!“ Herr Bond, Sie kommen doch aus Ägypten, können Sie uns etwas über Dubai sagen?
[wenn anwesend:]
Dies ist der Moment, in denen ich Ihnen gerne Frau… vorstellen Möchte. Sie ist heute hier, um das herrvorragende Team des „La Perla“ zu repräsentieren. Frau… waren sie schon einmal in Dubai….
[Wenn die Kellnerin da ist: Gespräch über Dubai, den Namen „La Perla“ (dass er nach einem Piratenschiff klingt), Karl May.]
Aber ehrlich, vielleicht ist das hier einfach eine Geisterstadt. Ist die verlassene Frankfurter Innenstadt wirklich so geeignet für eine Geister-Terrace?
Ich bin ja auch ein Geist. Ich bin William Holden, so wie ihn sich Martin Kippenberger vorgestellt hat. Kippenberger war übrigens auch ein Schauspieler, wenn man der Ansicht seines Freundes Christopher Wool folgt.
Ebenso auch comedian, Redner, insomniac, paranoid, Bösewicht, Klassenclown, Chamäleon, Heuchler, Terrorist, Meuchelmörder, Verführer und Pessimist. Zusammengefasst: Er war Künstler. Ich bin eine fiktionale Figur. Und als Fiktion kann ich keine Frage zulassen, die mich dazu veranlassen würde aus der Rolle zu fallen. Ganz einfach, weil da nichts ist außer der Rolle – sie ist genau der Grad, zu dem es mich gibt.
So war es mir zum Beispiel unmöglich, die Fragen von Herrn Dr. Arnim von der Frankfurter Rundschau zu beantworten. „Wo wohnen sie, wenn sie nicht im Hotel ,Neue Kräme' wohnen?“ Sicherlich, das sind einfache, geradezu banale Fragen, wenn ich ein richtiger Frankfurter wäre. Aber für mich bewegen sich solche Fragen zwischen Bedeutungslosigkeit und Unmöglichkeit. Für Sie bin ich eine Figur, eine Projektion von Martin Kippenberger. Und wie alle Projektionen erzähle ich mehr über den Projektor als das Projizierte.
Different directions
1. Projector
2. Me
3. Dora
Herr Bond, wo ist der Projektor?
“Was bedeute ich für Kippenberger”? Als ob ich durch die ständige Wiederholung der Fragen, irgendeinen Sinn entdecken könnte. Ganz Ehrlich: Ich hab keine Ahnung! Kippenberger ist tot und daher bedeute ich wahrscheinlich gar Nichts mehr. Im besten Falle bin ich ein Stück sich verselbständigende Vergangenheit. Eine Art Geist, der jetzt auf eigene Faust unterwegs ist. Wie ist das für Sie, Mr. Bond?
Bond: Obwohl es keine einfache Geschichte ist, weil so …
Holden: Man muss viel Zeit haben. [Lacht]
Bond: Man muss viel Zeit haben, genau.
Holden: Es ist auch viel versteckt. Es ist mir ja schon aufgefallen, es … es ist kein Projekt, das einem entgegen kommt, dem…
Bond: Genau! Genau!
Holden: … man muss ihm hinterherlaufen.
Bond: So ist es, jaja!
Holden: Nein, ich bin nicht verheiratet.
Bond: Ich bin auch Single. Jetzt hab ich aber in Wikipedia über sie gelesen, dass sie schon 1982 gestorben sind. Ist das ein Problem für Sie?
Holden: Nein, und für Sie?
Bond: Gut ich bin auch Fiktion, aber ich bin ja nicht tot.
Holden: Können Fiktionen eigentlich sterben? Das ist was Mein Freund Horst richtigerweise das „Norma-Desmond-Syndrom“ nennt: Vergangene Stars, die verzweifelt das Rampenlicht suchen.
[Conversation with Horst about the Norma-Desmond-Syndrom – including Bond and others walking in the audience]
Mit dem toten Schimpansen fing es damals an. Als ich auf der Flucht vor meinen Gläubigern mit dem Bestatter verwechselt wurde. Ich geriet in ihr Haus und bekam den Job. In diesem Engagement ging es nur vordergründig darum, die Salome zu schreiben. Eigentlich sollte ich einem vergangenen, verlorenen und verzweifelten Leben die Illusion einer Renaissance einhauchen.
Valentino tanzte einst in der Villa von Norma Desmond am Sunset Boulevard, und an dieser und jener Straßenecke hier hat Joschka Fischer Steine auf Polizisten geworfen. Ich komme heute immer mehr zu der Erkenntnis, dass ich auch hier in der Stadt der leeren Türme keine andere Aufgabe bekommen habe. Wiederholung ist offenbar mein Schicksal. Gewiss, die Namen und Ereignisse, von denen mir in den letzten Tagen berichtet wurde, sind fast alle klangvoll – niemand will oder kann das bestreiten. Magarete Mitscherlich, Hermann Hesse, Harry Rowohlt, Siegfried Unseld; in einer späteren Epoche dann das kleine Theater TAT in dem sich viele der heutigen Legenden des zeitgenössischen Theaters zum ersten Mal dem deutschen Publikum vorstellten …. Das alles gab es hier einmal, IN FRANKFURT!!!. GAB ES! Die Liste solcher Erinnerungen ist um ein Vielfaches länger. Und doch ist grob überschlagen das jüngste dieser Ergebnisse 10 oder 15 Jahre her. Und würde man ein statistisches Mittel der zeitlichen Entfernung dieser Personen und Ereignisse zur Gegenwart errechnen, so käme man sicherlich auf ein Vielfaches des Abstandes von Normas Verhaftung („are you ready for the close up!“) zu dem Ende ihrer Karriere.
[Cue to mario: → dora]
[Music starts and while Mario is singing Herr Holden walks among the audience to ask small groups about if they come from Frankfurt, how they like it here, if they are planning to leave, if they would prefer to be somewhere else.
“Kommen Sie aus Frankfurt?” – ask a lot of people this question.]
Ja, Aber…
In nahezu jeder Stadt der Welt würde diese Frage mit Ja oder Nein beantwortet werden. New York zum Beispiel, oder Miami; O‘Fallon, Illinois. Further information under www.ofallon.org, paris.org, nairobicity.org.
Did anyone choose to be in Frankfurt?
Jeder möchte Frankfurt verlassen. Mattheo will hier weg. Er sagt, es gäbe hier zu viele männliche Singles. Mattheo, kannst Du das ein wenig ausführen?
Herr Bond möchte Frankfurt verlassen. Gibt es eigenlich eine einzige Szene in einem Bond-Film, die in Frankfurt spielt?
[Discussion until exhausted]
Jetzt ist es Zeit, dass ich Ihnen meinen letzten Gast vorstelle: Please give a warm applause to Mr ….. The living statue from the Römerberg.
You can step down now. It is time to collect the money. Wenn sie ein paar Münzen übrig haben, oder auch Scheine – wir wären Ihnen sehr! Dankbar, wenn sie uns damit unterstützen könnten. Und während … die Spenden sammelt, spiele ich für Sie das Lied „Harmonize“ das ich vor ein paar Tagen während einer Buddhistischen Zeremomie am Liebfrauenbrunnen aufgenommen habe. Eine Gruppe von Kindern hat dabei die Bedeutung des Liedtextes mit Gesten unterstrichen. Das werde ich jetzt für Sie tun.
“Harmonize”
BOND (while Holden is mimmicking the gestures of Buddhist children):
Wir widmen diesen Moment unendlicher Peinlichkeit Martin Kippen Kippenberger und William Holden. Ich warte dann unten auf Euch.
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