Valentino danced in Norma Desmond's villa on Sunset Boulevard. Joschka Fischer threw stones at the police in Frankfurt. Today I'd like to be back in Norma Desmond's house on Sunset Boulevard. As entropic and desolate as it might have been in that house, there was however a certain class, an elegant sadness to it that I – alias Gillis, alias William, alias Martin, alias me – that I am missing so much.
"Is Frankfurt really so different?" – In this moment I remember that it had not so much been my business with Norma Desmond to re-write her impossible Salome script but rather to conjure up the desperate renaissance of a life that was lost, gone and forgotten. Today I am thinking that this is exactly what my mission here in Frankfurt is too. The eternal return…
Margarete Mitscherlich, Hermann Hesse, Harry Rowohlt, Siegfried Unseld, “Das kleine Theater TAT” … all this happened in Frankfurt. Happened! This is what my new friend Horst rightfully calls the Norma-Desmond-syndrome: the has-been's desperate yearning for the spotlight. My tristesse is somewhat consoled by Horst and me visiting a Tango salon together in the evening. As usual though my expectations are too high, the disappointment bitter … the truth is, at least I get to meet Mario who agrees to perform with me next Wednesday, May 6, 8pm at the Schirn Kunsthalle – in case you'd like to be there.
Valentino tanzte einst in der Villa von Norma Desmond am Sunset Boulevard und an dieser und jener Straßenecke hier hat Joschka Fischer Steine auf Polizisten geworfen. Es ist ein Tag, in dem ich mir die verfallene und verlassene Eleganz von Norma Desmonds Villa zurückwünsche. Denn, verfallen oder nicht, es war immerhin elegant dort, als ich – alias Gillis, alias William, alias Martin, alias Ich – mich auf den Auftrag einließ, die „Salome“ zu redigieren. Zumindest die Referenz eines Glanzes wurde dort aufrechterhalten, wenn auch vergangen und nur noch aus der Verzweiflung heraus.
„Ist denn Frankfurt wirklich so anders, als Normas Haus“, beginne ich mich zu fragen und denke an das gestrige Gespräch mit Hierholzer und Wongemann. Wir trafen uns im „Café Laumer“ an der Bockenheimer Landstraße, wo früher Adorno Hof hielt. Getanzt hat er wohl nicht und weder Valentino noch Schunkel-Jazz hätte Adorno gemocht. Doch scheinen er und Norma sich auf eine bizarre Art sehr ähnlich gewesen zu sein. Gibt es denn wirklich einen Unterschied zwischen dem Bedürfnis sich in einer mit Leopardenfell bezogenen Luxuslimousine zu präsentieren und der selbstverständlichen Erwartung, der örtliche Zoo würde auf den persönlichen Wunsch hin einen Wombat anschaffen? Auch ist es mir zunehmend unmöglich, das Bedürfnis Adornos, nur zusammen mit Adeligen Klavier zu spielen von Normas Obsession, die eigenen Filme im eigenen Kino zu sehen, zu unterscheiden. Und auch auf die Gefahr hin, es mir mit der lokalen Intelligenzija zu verscherzen: Wenn man sich nur ein wenig Zeit nimmt, die eigenen Vorurteile für einen Moment beiseite zu räumen, kann man leicht zu der Erkenntnis gelangen, dass sich in dem verglasten Schreibtisch des Denkers auf dem nach ihm benannten Platz auch ein Zerrbild des Kindersarges jenes toten Schimpansen befinde, den Norma in ihrem Garten beerdigen ließ.
Mit dem toten Schimpansen fing es damals an, als ich auf der Flucht vor meinen Gläubigern mit dem Bestatter verwechselt wurde. Ich geriet in ihr Haus und bekam den Job. In diesem Engagement ging es nur vordergründig darum, die Salome zu schreiben. Eigentlich sollte ich einem vergangenen, verlorenen und verzweifeltem Leben die Illusion einer Renaissance einhauchen.
Nach dem gestrigen Gespräch komme ich heute immer mehr zu der Erkenntnis, dass ich auch hier in der Stadt der leeren Türme keine andere Aufgabe bekommen habe. Wiederholung ist offenbar mein Schicksal. Gewiss, die Namen und Ereignisse, von denen mir gestern berichtet wurden sind fast alle klangvoll – niemand will oder kann das bestreiten. Magarete Mitscherlich, Hermann Hesse, Harry Rowohlt, Siegfried Unseld; in einer späteren Epoche dann das kleine Theater TAT in dem sich viele der heutigen Legenden des zeitgenössischen Theaters zum ersten Mal dem deutschen Publikum vorstellten …. Das alles gab es hier einmal. Gab es! Die Liste solcher Erinnerungen ist um ein Vielfaches länger, und doch ist grob überschlagen das jüngste dieser Ergebnisse 10 oder 15 Jahre her. Und würde man ein statistisches Mittel der zeitlichen Entfernung dieser Personen und Ereignisse zur Gegenwart errechnen, so käme man sicherlich auf ein Vielfaches des Abstandes von Normas Verhaftung („are you ready for the close up!“) zu dem Ende ihrer Karriere.
Auf der Suche nach zumindest einer Illusion von Glanz trinke ich einen Kaffee in der Lounge des „Best Western“. Die Atmosphäre dort ist schick, aber kühl und die ausgestellten alten double R’s sind eine durchaus taugliche Kulisse für mein Vorhaben. Als ich einen gelangweilten Mann mittleren Alters mit dunkelblauem Anzug bitte, ein Foto von mir vor der Luxuslimousine zu schießen, springt sofort seine Assistentin hinzu, sagt halblaut und in scharfem Ton „das übernehme ich“ und reißt mir den Fotoapparat aus der Hand, bevor ich ihn ihrem Boss anbieten kann. Auf ihrem Gesicht steht keine Ehrfurcht, nicht einmal Respekt, vor ihrem Chef. Lediglich die Angst, einen Fehler zu machen. Glanz ist das nicht und da ich mir nun eingestehe, dass ich Eleganz in der Frankfurter Gegenwart vergeblich suchen werde, begebe ich mich ins Filmmuseum. Hier in der archivierten Vergangenheit kann ich etwas Trost finden. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe kein Bedürfnis danach, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort – also im sogenannten Zentrums des Geschehens – zu stehen. Ich will kein Rampenlicht. Doch das Gefühl, den Auftrag bekommen zu haben über eine Stadt zu schreiben, die sich selbst zu genügen scheint, die die Sehnsucht durch Nostalgie ersetzt hat, erzeugt eine Einsamkeit in mir. Denn die Wahrheit ist, eigentlich werde ich hier nicht gebraucht. Und ich will nur diesen dunklen Gedanken der Nutzlosigkeit entfliehen. Vielleicht für ein paar Stunden im Dunkel eines Museumskinos, vor einer Leinwand auf dem ein alter Film bescheidene Wiederauferstehung feiert.
Gekommen ist es ganz anders. Ich habe Horst getroffen, den ich zu Beginn noch „Herr M.“ genannt habe. Wir sind im Café des Filmmuseums miteinander ins Gespräch gekommen und schnell stellte es sich heraus, dass er ein großer Filmkenner ist. Hat sogar Bücher über Filme geschrieben und den Begriff des Norma-Desmond-Symptoms geprägt. Auf Nachfrage, was es denn damit auf sich habe, erklärt er, dass damit jene Prominenten gemeint sind, die nach Ablauf ihrer Kariere noch einmal versuchen, mit allen Mitteln einen Scheinwerfer zu finden, den jemand auf sie richtet und sich damit schliesslich selbst vernichten. Sofort fällt mir Pierre Briece ein und Horst schmunzelt zu diesem Vorschlag. Horst ist sehr gebildet, spricht mit Leichtigkeit über fast alle Themen. Von Fußball und seinem Idol Klaus Augenthaler, bis zu der andauernden Fehlinterpretation des Kant'schen kategorischen Imperativs auf deutschen Zugtoiletten („Dort hängen Schilder mit der Aufschrift: Bitte verlassen Sie diesen Raum so wie sie ihn vorfinden möchten.“). Mein Auftrag begeistert ihn und er lädt mich für den Abend in einen Tangosalon ein, im Osten der Stadt, dort, wo es richtig urban zugehen soll. Sollte sich dieser Tag doch noch gegen die dröge Tristesse stemmen? Horst verspricht viel, erzählt mit Leidenschaft von der Besitzerin des Tanz-Salons und ihrem Tanzpartner, die gerne die Tanzfläche mit atemberaubendem Tango elektrisieren. Doch auch hier bestätigt sich: Die Realität ist nicht so elegant. Der Tanz-Salon entpuppt sich als Mischung aus Vorstadt-Tanzgaststätte und Neubau-Mietwohnung. Mit rotgestrichenen Wänden und kargem Dekor. Die versprochene Urbanität des Stadtviertels beschränkt sich auf ein Bordell, mit dem doch eher provinziellem Namen „Sudfass“ und diese Gaststätte. Der Rest der Straße ist dunkel und menschenleer. Aber ich bin guter Dinge und beschließe die Dinge nicht mehr an meinen Bedürfnissen zu messen, sondern sie so zu nehmen, wie sie sind. Zwei Gläser guten Rotweins helfen, die klaustrophobischen Elemente dieser Tanzgemeinde zu vergessen und eine bodenständige Menschlichkeit zu entdecken. Das versprochene Paar tanzt heute nicht. Dafür aber singt Mario aus Italien und Argentinien Playback zum CD-Spieler und ein Akrobatenpaar bietet mit großer Leidenschaft südamerikanische Folklore dar. Ein Hauch von Wanderzirkus kommt auf und alle scheinen zufrieden zu sein, mit dem was sie hier haben. Später am Abend komme ich mit Mario ins Gespräch und erfahre, dass er sich gerade entschlossen hat, nach Frankfurt zu ziehen. „Warum?“ will ich wissen, und er antwortet „Warum nicht?“ und fügt hinzu: „Ich habe hier Freunde.“ Vielleicht ist man dann an einem Ort zu Hause, denke ich, wenn man aufhört, zu fragen, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Und in diesem Moment verspicht mir Mario, am nächsten Mittwoch in der Schirn aufzutreten.
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